30.6.2022 [Letztes Update: 29.7.2022]

Erläuterungen zum Klima-Countdown

Der Weltklimarat (IPCC) schätzt regelmäßig die globalen CO₂-Mengen ab, die ab einem bestimmten Zeitpunkt (zuletzt: 2020) noch freigesetzt werden dürfen, ohne dass die globale Durchschnittstemperatur sich dadurch um mehr als 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau erhöht. Die dabei verwendeten empirischen Daten und theoretischen Modelle sind mit Unsicherheiten behaftet. Je engere Fehlergrenzen toleriert werden, desto niedrigere CO₂-Mengen resultieren. Darauf beziehen sich die Prozentangaben zur Sicherheit der Ziel-Erreichung: Ein Wert von 67% heißt "es ist wahrscheinlich, dass...", ein Wert von 50% hingegen: "es ist etwa ebenso wahrscheinlich wie nicht wahrscheinlich, dass...". Als anstrebenswert gilt das 1,5°C-Ziel bei 67% Sicherheit (oder besser).

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ist ein Beratungsgremium der Bundesregierung. Er leitet aus der vom IPCC abgeschätzten globalen CO₂-Menge ein nationales "CO₂-Budget" her (zuletzt in [A], s.u. Abschnitt "Quellen"). Das ist sinnvoll, um die Klimapolitik Deutschlands beurteilen zu können, und das Bundesverfassungsgericht vertritt die Auffassung, diesem Budget "müssen ... die gesetzlichen Reduktionsmaßgaben Rechnung tragen" [A, S. 6] - allerdings ohne einen bestimmten Sicherheits-Prozentwert zu nennen.

Die IPCC-Angabe für 2020 wird bei dieser Herleitung vom SRU zunächst auf das Anfangsjahr 2016 zurückgerechnet, indem er die globalen Emissionen der Jahre 2016 bis 2019 berücksichtigt [A, S. 9, "Schritt 3"]. Das Jahr 2016 ist gewählt, weil damals das Pariser Klima-Abkommen vom Bundestag angenommen wurde und auch international in Kraft trat [A, S. 10]. (Den ebenfalls möglichen Zeitpunkt 1990 verwirft der SRU, weil sich dann kein Restbudget für Deutschland mehr ergeben würde [A, S. 10].) Sodann skaliert der SRU die so ermittelte CO₂-Menge mit dem Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung (2016: 1,1%) und zieht die seitdem in Deutschland emittierten CO₂-Mengen davon ab. Es verbleibt dann ein Restbudget von 2 Mrd. t CO₂, das von Deutschland ab dem 1. Januar 2022 noch emittiert werden darf.

Wann ist dieses Restbudget aufgebraucht ? Um diese Frage zu beantworten, braucht man Prognosen für die deutschen CO₂-Emissionen der kommenden Jahre. Die Animation wählt einen einfachen Ansatz: Sie verwendet auch für die Jahre 2022, 2023 und 2024 den vom Umweltbundesamt gemeldeten Wert für 2021; er betrug 675 Mill. t CO₂ [B, S. 8]. Dieser Wert erscheint angesichts der gegenwärtigen Unwägbarkeiten (Rückkehr zur Kohleverstromung einerseits, Bemühungen um Energieeinsparungen andererseits) durchaus realistisch. Damit wird die Grenze von 2 Mrd. t CO₂ am 17. Dezember 2024 überschritten.

Eine Alternative wäre, regierungsamtliche Prognosen zu verwenden, zu denen das Bundesumweltministerium gemäß Art. 18 der EU-Verordnung 2018/1999 verpflichtet ist. Die neuesten Daten stammen aus dem "Projektionsbericht 2021", der alle klimawirksamen Maßnahmen berücksichtigt, die bis Ende August 2020 verabschiedet worden sind. [C, S. 25] Er prognostiziert für alle Treibhausgase (nicht nur CO₂) die folgenden Werte (in Mill. t CO₂eq) 2022: 794,6 / 2023: 783,6 / 2024: 771,2 [C, S. 326, Tab. 126]. Der Anteil des Kohlendioxids an den Treibhausgasen beträgt durchschnittlich 88% [A, S. 12], so dass für die Jahre 2022-24 die folgenden Mengen resultieren (Mill. t CO₂): 699,25 / 689,57 / 678,66. Diese Werte liegen über dem in der Animation verwendeten Wert; mit ihnen wäre das Restbudget bereits im Laufe des November 2024 aufgebraucht.

Eine weitere Alternative wäre es, nicht Prognosen zu verwenden, sondern die Zielvorgaben des Klimaschutzgesetzes (KSG). Sie sind für den Zeitraum bis 2030 in Anlage 2 zu § 4 KSG [F] festgelegt:
KSG Anlage 2
Addiert man die bezifferten Vorgaben der Jahre 2022-24, erhält man 1,7 Mrd. t CO₂. Der Energiesektor dürfte also 2023 und 2024 jährlich nur 150 Mio. t CO₂ emittieren (im Vergleich zur Vorgabe von 257 Mio. t für 2022), um die Marke von 2 Mrd. t CO₂ nicht zu überschreiten. Wie man es auch dreht und wendet: Aller Voraussicht nach wird diese Grenze spätestens Ende 2024 überschritten werden.

Der Klima-Countdown der Süddeutschen Zeitung wird auf der Website sueddeutsche.de angezeigt und ist vom Mercator-Institut [D] übernommen. Er bezieht sich auf das gleiche globale IPCC-Budget zum 1,5°-Ziel bei 67% Sicherheit, von dem auch der SRU ausgeht, zeigt aber noch eine Restzeit von sieben Jahren an (Stand: Juni 2022). Woher kommt diese Diskrepanz ? Das Mercator-Institut verwendet zum Herunterzählen des globalen Budgets auch die globalen jährlichen Durchschnitts-Emissionen; sie lagen 2016-19 bei 39,941 Mrd. t CO₂. Wenn man das auf den deutschen Anteil an der Weltbevölkerung skaliert, ergeben sich 439 Mill. t CO₂. [E] Die deutschen Jahres-Emissionen liegen rund 50% über dem globalen Wert. Da der SRU die Aufspaltung zwischen globalem und nationalem Budget bis in das Jahr 2016 zurückverfolgt, hat sich das nationale Budget seit 2016 daher Jahr für Jahr stärker reduziert als das globale Budget - mit dem Ergebnis, dass ihre "deadlines" mittlerweile viereinhalb Jahre auseinander liegen. -

Die Animation läuft in Schritten von 50 Millisekunden ab. Das ist ein Tempo, das am Rande des zeitlichen Auflösungsvermögens des menschlichen Auges liegt. Zugleich eignet es sich gut zur Visualisierung der deutschen CO₂-Emissionen: Im Mittel werden alle 50 Millisekunden 1,070205479 t CO₂ emittiert; pro Sekunde sind das 21,40410959 t.
Die Animation endet im Laufe des 17. Dezember 2024 mit dem Hinweis "Die vom Sachverständigenrat zugestandene Emissionsmenge wurde überschritten." (Bei den Stundenangaben wurde der Wechsel zwischen Winter- und Sommerzeit nicht berücksichtigt.)

Zur Animation des Klima-Countdowns

Quellen
[A] Stellungnahme des SRU vom 15.6.2022
[B] Berechnung des Umweltbundesamtes vom 10.3.2022
[C] Bundesumweltministerium, Projektionsbericht 2021 für Deutschland
[D] Klima-Countdown des Mercator-Instituts

Standardmäßig wird dort der Countdown für das 2°-Ziel angezeigt; man muss in dem Bild mit der sich drehenden Weltkugel in der rechten oberen Ecke "1,5°C scenario" anklicken.
[E] Auskunft der Geschäftsstelle des SRU auf der Grundlage von Copernicus-Daten
[F] Klimaschutzgesetz, Anlage 2 zu § 4